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Rezensionen

Bodo Gaßmann über

Franz Brentano und
die Kategorienlehre des Aristoteles

Jeder, der sich ernsthaft mit Philosophie beschäftigen will, muss sich mit der „ersten Philosophie“ befassen. Der Gegenstand dieser Wissenschaft ist das „Seiende als Seiendes“. Sie ist allgemeine Wissenschaft im Gegensatz zu den partikularen Wissenschaften, die immer nur einen Teil des Seienden bearbeiten. Als höchste Wissenschaft, die keiner anderen untergeordnet ist, behandelt die erste Philosophie die obersten und allgemeinen Prinzipien, die dann auch für die Einzelwissenschaften gelten (Brentano, S. 11 ff./Einleitung).
Derjenige, der diese Wissenschaft nach Vorarbeiten durch die Vorsokratiker und Platon begründet hat, ist Aristoteles in seinem Werk „Metaphysik“ (siehe dazu auch die entsprechenden Kapitel in meinem Buch „Grundlagen“). Nun sind die heute vorherrschenden philosophischen Richtungen vorwiegend nominalistisch (in weitester Bedeutung) konstituiert, lehnen also die aristotelische Metaphysik (die zugleich eine Ontologie ist) ab. Doch das ist meist eine bloß abstrakte Negation, die ihren Gegenstand noch nicht einmal zur Kenntnis nimmt, kein wissenschaftlicher Ausweis, sondern bloß oberflächliches Denken. Dem kann die Lektüre und das Studium der Werke der Tradition abhelfen. Sekundärliteratur, Interpretationen können dabei Hilfen sein. So das hier zu rezensierende Werk. Es stammt von

Franz Brentano:
Von der mannigfachen Bedeutung des Seienden nach Aristoteles. Franz Brentano. Sämtliche veröffentlichte Schriften. Dritte Abteilung. Schriften zu Aristoteles. Herausgegeben von Thomas Binder und Arkadinsz Chrudzimski.
Mit einem Vorwort von Thomas Binder und Arkadinsz Chrudzimski zur Ausgabe der veröffentlichten Schriften, eingeleitet von Mauro Antonelli und Werner Sauer. Herausgegeben von Werner Sauer, Berlin, Boston 2014 (DE GRUYTER). (ISBN 978-3-11-033710-5)

Die Bedeutung von Franz Brentano (1838 – 1917) besteht darin, dass er Anreger der Phänomenologie, Sprachanalytischen Philosophie und Lehrer von Husserl war. Ebenso ist er der geistige „Großvater“ von Heidegger und Scheler. Stegmüller schreibt über die Bedeutung von Brentano:
„es besteht ein merkwürdiges Mißverhältnis zwischen der großen tatsächlichen Auswirkung Brentanos auf die heutige Philosophie und der verhältnismäßig geringen Beachtung, die seine Theorien im gegenwärtigen philosophischen Lehr- und Forschungsbetrieb finden.“ (Hauptströmungen, S. 2)
Deshalb ist es ein Verdienst des de Gruyter-Verlags, seine von ihm selbst veröffentlichten Schriften neu in einer Studienausgabe dem Leser wieder zugänglich zu machen. Eine historisch-kritische Edition seiner Schriften steht allerdings noch aus.
Das vorliegende Werk ist Brentanos Dissertation, die er in Tübingen einreichte und 1862 veröffentlichte. Das Thema steht im Zusammenhang mit einer Aristoteles-Renaissance nach Hegels Tod, in der sich die bürgerliche Philosophie, zum Teil durch staatliche Repression dazu gezwungen, neu orientierte. Angeregt wurde diese Schrift durch die innerkatholische Bewegung der Neuscholastik bzw. des Neuthomismus und durch seinen akademischen Lehrer Trendelenburg.
In diesem Werk ist Brentano noch kein Denker der „Evidenz“ und der „Intentionalität“, als der er Einfluss auf moderne Strömungen der bürgerlichen Philosophie genommen hat, sondern liefert eine immanente Untersuchung der aristotelischen „Metaphysik“ ab. Positionen übrigens, die er später scharf kritisiert hat (vgl. Stegmüller, a.a.O., S. 22). Inwieweit er seinem Anspruch, Aristoteles‘ Gedanken wahr herauszuarbeiten, gerecht wird, wird die Rezension zeigen. Einschränkend muss der Rezensent bekennen, das Altgriechische zwar lesen zu können, um die Begriffe zu erkennen, sonst aber dieser Sprache nicht mächtig zu sein.
In dieser Besprechung kann es nicht darum gehen, den Inhalt zusammenfassend nachzuerzählen, sondern ich versuche an ausgewählten Problemen Brentanos Position zu Aristoteles zu erörtern und einzuschätzen. Die Grenzen Brentanos müssen vorab angedeutet werden, sie liegen in seiner vorwiegend philologischen Methode. Philologische Aufbereitung von Texten ist notwendig, zumal es sich um antike Texte in einer toten Sprache handelt. Aber philologische Aufbereitung und Übersetzung von Texten ist noch keine Interpretation der in den Werken enthaltenen Einsichten und Probleme. Philologische Interpretation kann immer nur ein Wort durch ein anderes ersetzen, zeigen, wo und in welchem Zusammenhang es noch vorkommt usw. Treibt man das Philologische auf die Spitze, versteht der Interpret den philosophischen Gedanken nicht, dann kommt nur Konfusion heraus. Obwohl Brentano mehr Philologie als Philosophie betreibt, ist ihm der philosophische Gedanke nicht ganz fremd, sodass man aus der Lektüre seiner Dissertation auch Einsichten in die Sache gewinnen kann. Allerdings sind diese beschränkt, wie ich an exemplarischen Problemen (mit Peter Bulthaup, auf den ich mich beziehe, siehe Gaßmann: Grundlagen, und Günther Mensching, siehe Literaturliste) zeigen werde.
Wie der Titel der Dissertation schon aussagt, wird der Begriff des Seienden in mehreren Weisen ausgesprochen. Der Zugang zum Seienden ist deshalb für Brentano nur durch die Analyse der Sprache (logos) möglich. Er unterscheidet vier grundlegende Weisen, vom Seienden zu sprechen:

  1. Als akzidentelles Seiendes,
  2. als Seiendes in der Bedeutung des Wahren,
  3. in der Weise der Kategorien und
  4. Seiendes dem Vermögen und der Wirklichkeit nach.

Bei dieser Einteilung bezieht sich Brentano auf Thomas von Aquin, dessen Aristoteles-Kommentar er weitgehend folgt. In seiner Dissertation legt Brentano nun hauptsächlich auf die Figuren der Kategorien (zwei Drittel des Textes) den Schwerpunkt. Vom akzidentellen Seienden kann es keine Wissenschaft geben, weil es zufällig ist.  Nur von der Substanz, dem für sich Bestehenden, das Träger der Akzidenzien ist, kann es Wissenschaft geben. Vom Seienden des Wahren gibt es zwar die Logik als Wissenschaft der Formen des Denkens, aber der Inhalt, das Wahre, geht nicht über das hinaus, was in den Kategorien gegeben ist.

Das nihil positivium/privativum

Seiendes als Wahres muss nicht mit dem ontologischen Seienden zusammenfallen, denn über eine Schimäre z. B. können wahre Urteile gefällt werden, ohne dass sie existiert: „Eine Schimäre ist ein Fabelwesen.“ In dieser Thematik verbergen sich aber noch andere Probleme. Antonelle/Sauer gehen in ihrer philologischen Kritik an Brentano in der Einleitung zu seiner Dissertation auf Brentanos Interpretation des nihil privativum (z. B. Blindheit ) ein. Sagt man von einem Menschen, er ist blind, dann kann dies eine wahre Aussage sein, aber es sei nach der Aristoteles-Interpretation von Antonelli /Sauer kein Existenzialsatz (nicht energaia oder actus essendi). Für Brentano aber wird im Anschluss an Thomas von Aquin das nihil privativum zum Seienden als actus essendi, da das Subjekt eines solchen Satzes existiert. Welche Position nun die richtige ist, kann nicht allein aus einer philologischen Textauslegung geschlossen werden. Parmenides hatte gesagt: „Sein ist“ und „Nichtsein ist nicht“. Daraus folgt konsequent, dass jede Veränderung unmöglich ist, denn wenn sich etwas verändert, dann war es vorher nicht, z. B. ein Stuhl, der aus Holz gefertigt wird, aber potenziell im Holz anwesend ist. Will man nicht die Welt auf das reine Sein beschränken, gegen alle Erfahrung, wie Parmenides, dann muss man das Nichtsein anerkennen und sagen: Nichtsein ist, so z. B. die Leere bei den Atomisten. Insofern ist auf der Basis des ontologischen Denkens Brentanos Deutung (mit Thomas von Aquin) wahr – auch gegen anderslautende Stellen bei Aristoteles. Selbst ein nihil negativum, ein widersprechendes Unding wie ein „hölzernes Eisen“, muss zumindest gedacht werden können, wenn man Widersprüche ausschließen will (vgl. Kant: KrV, A 290 ff., die Differenzierung in der Kategorie Nichts). Ob dieses Nichts nun ontologisch als actus essendi (wie z. B. die Leere in Demokrits Atomtheorie) oder bloß als wahre Aussage in der Vorstellung existiert, das kann hier nicht endgültig erörtert werden, es hieße die ganze Philosophiegeschichte zu rekapitulieren. Brentano, der noch in seiner Dissertation ontologisch Thomas von Aquin folgt, hat später jede ontologische Fundierung bestritten (siehe unten: Kritik).
Auch Möglichkeit und Wirklichkeit zeigen keine über das Seiende hinausgehenden Bestimmungen, die nicht von der kategorialen Erfassung abgedeckt wären (vgl. Antonelli/Sander: Einleitung, S. XXII). Brentano macht es sich aber zu leicht, wenn er die Begriffe dynamis (Möglichkeit) und energaia (Wirklichkeit) bloß philologisch erörtert, ansonsten unterstellt, es gebe nun einmal Möglichkeit und Wirklichkeit.

Das Verhältnis von erste und zweiter Substanz und die Möglichkeit

Ungeklärt bleibt bei Brentanos philologischer Methode das Verhältnis von erster zur zweiten Substanz. Die erste Substanz ist bei Aristoteles das Einzelding, weil letztlich alles auf dieses bezogen ist. Gäbe es aber nur Einzeldinge, dann könnte man immer nur sagen „Dies da“. Die zweite Substanz ist bei Aristoteles die allgemeine Art-Form oder das Sosein der Dinge, denn wir können uns die Welt immer nur geistig durch Allgemeinbegriffe aneignen. Die unterste Art-Form (Mensch, Hund, Kuh) erschließt Aristoteles, wie Brentano richtig hervorhebt, durch Diairesis. Brentano zitiert nun Aristoteles, die Art-Form sei ein Akzidenz am Einzelding, also der ersten Substanz. Doch das ist ungenau, ja unmöglich, denn Akzidenzien sollen auch nach Brentano immer bloß zufällig sein.
Das Mensch-Sein käme Sokrates nur akzidentell, also als zufällige Eigenschaft zu, Sokrates wäre zufällig auch Mensch, obwohl sein Mensch-Sein zu seinem Wesen gehört, ohne Mensch-Sein wäre er nicht vernunftbegabt, also nicht Sokrates. Aristoteles argumentiert an anderer Stelle, aus einer Kuh komme immer nur ein Kalb, aus einer Menschenmutter immer nur ein Menschenkind heraus, also sei diese Kuh, diese Menschenmutter nicht nur Individuum, sondern enthalte ontologisch etwas Allgemeines, die jeweilige Art-Form. Dann aber kann die Art-Form kein zufälliges Akzidenz am Einzelding sein, sondern konstituiere ontologisch (wie die Materie als Individuationsprinzip) das Einzelding. Folgt man dieser Deutung, dann besteht das Individuum aus Besonderem und Allgemeinem oder es ist individuell und allgemein zugleich – das aber ist ein Widerspruch, der in der mittelalterlichen Philosophie letztlich zum Nominalismus führt (siehe das Buch von Mensching: Allgemeines). Nun kann man sagen, wir müssen diesen Widerspruch auf uns nehmen, denn sonst könnten wir die Realität der Arten und Individuen nicht bestimmen. Oder man löst den Widerspruch auf, wie Aristoteles es macht, indem man aus dem Widerspruch auf die Vergänglichkeit der Individuen schließt, sodass diese nur existieren in der Abfolge der Generationen. Indem die Individuen untergehen, erhält sich die Art-Form oder das Sosein (jedenfalls solange, wie wir heute wissen, nicht alle Exemplare einer Art zerstört sind). Der Widerspruch zwischen Allgemeinen und Besonderen am Individuum oder Einzelding wird, wie Hegel sagt, zum prozessierenden Widerspruch, denn Bewegung, Abfolge, Prozess lässt sich nur widersprüchlich denken, wie bereits Zenon mit seiner Reflexion über den fliegenden Pfeil nachgewiesen hatte (vgl. Gaßmann: Grundlagen, S. 44 ff.). Ist nun die Art-Form am Individuum nur als Abfolge der Generationen zu denken, dann wird dieser Prozess nur bestimmbar durch die Begriffe der Möglichkeit (dynamis) und Wirklichkeit (energaia). Diese Begriffe ergeben sich notwendig aus der metaphysischen Bestimmung der Realität bei Aristoteles, sind also nicht bloß aus der Erfahrung verallgemeinert. Sie gehören nicht zu den Kategorien, wie Brentano richtig bemerkt, sondern sind Bestimmungen, die den einzelnen Kategorien, insbesondere der Substanz zukommen.

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Letzte Aktualisierung:  16.10.2014

                                                                       
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